Einheitspatent: Was innovative KMU über Patentschutz in Europa wissen müssen

Das am 1. Juni 2023 eingeführte Einheitspatent bietet erstmalig einen Schutz technischer Innovationen, der einheitlich in mehreren EU-Ländern wirksam ist. Das neue Einheitspatentsystem ergänzt die nationalen Patentsysteme und das klassische europäische Patent. Gleichzeitig hat es Auswirkungen auf bereits bestehende europäische Patente, sodass Unternehmen gut beraten sind, ihre Patentstrategie für Europa neu zu denken.

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 |  Zuletzt aktualisiert am:03.04.2024

Patentschutz: Schutz von Innovation und Wettbewerbsvorteil

Die Bedeutung des geistigen Eigentums für den Wirtschaftsstandort Europa ist immens. Aktuelle Tendenzen zeigen, waurm die Einführung des europäischen Einheitspatents sinnvoll ist:

  • Gefälschte und unerlaubt hergestellte Waren machen mehr als 5 % der EU-Importe aus und verursachen dabei einen Schaden von mehr als 100 Milliarden Euro jährlich.
  • Patente bilden das Fundament für einen wirksamen Schutz von technischen Innovationen und geben Unternehmen das exklusive Recht, ihre Erfindungen über einen festgelegten Zeitraum zu nutzen, zu verkaufen und zu lizenzieren.
  • In einem dynamischen Marktumfeld verleihen diese Schutzrechte einen klaren Wettbewerbsvorteil.

Vor diesem Hintergrund markiert das neu eingeführte EU-Einheitspatent einen Wendepunkt, der dem Patentschutz in Europa eine neue Attraktivität verleiht.

Historische Entwicklung und Herausforderungen

Traditionell können Unternehmen in Europa zwischen zwei Optionen wählen, um den Patentschutz in den verschiedenen Ländern zu erhalten: 

  1. Nationales Patent: Zum einen besteht die Möglichkeit, Erfindungen bei den jeweiligen nationalen Patentämtern anzumelden. Diese prüfen, ob die Erfindung patentfähig ist und erteilen ein Patent, das in dem jeweiligen Land unmittelbar wirksam und gegen Patentverletzer durchsetzbar ist. 
    Der Nachteil: Ein Patent, das die Patentanwälte des EPA vergeben haben, muss in jedem Land, in dem es wirksam sein soll, einzeln anerkannt werden. Diese Lösung bringt allerdings länderspezifische Abläufe und Kosten mit sich. 
  2. Europäisches Patent: Zum anderen können Patente auch vom Europäischen Patentamt auf Grundlage des Europäischen Patentübereinkommens (EPÜ) erteilt werden.
    Der Nachteil: Im Unterschied zu den nationalen Patenten sind europäische Patente jedoch nicht automatisch in allen 39 EPÜ-Mitgliedsstaaten wirksam. Vielmehr zerfällt ein europäisches Patent nach seiner Erteilung in ein Bündel von nationalen Patenten (sog. Bündelpatent), die dann jeweils bei den nationalen Patentämtern verwaltet und auch national durchgesetzt werden müssen. In welchen Ländern das Bündelpatent wirksam sein soll, können Patentinhaber wählen und so ihr Patentportfolio in Europa frei gestalten. Je nach Anzahl der gewählten Länder führt das jedoch zu hohen Kosten, da jedes Land jährliche Gebühren für die Aufrechterhaltung der Patente erhebt. Wegen der Notwendigkeit, Patentverletzungen national zu verfolgen, wird gleichzeitig die Schlagkraft eines europäischen Bündelpatents insbesondere innerhalb des EU-Binnenmarkts merklich eingeschränkt.

Info

Was ist das EPÜ?

Das Europäische Patentübereinkommen (kurz: EPÜ) ist ein zwischenstaatliches Übereinkommen, dem mittlerweile 39 Staaten in Europa einschließlich aller 27 EU-Staaten angehören.

Das EU-Einheitspatent: Eine Neuerung mit Potenzial

Am 1. Juni 2023 trat das EU-Einheitspatent in Kraft – ein bedeutender Schritt in Richtung eines einfacheren und effizienteren Patentschutzes innerhalb der Europäischen Union. Grundlage für das neue Einheitspatent ist ein Vertragswerk, das von einer Gruppe von EU-Staaten mit Hilfe der sogenannten verstärkten Zusammenarbeit auf den Weg gebracht wurde. Dieser Sonderweg war nötig, weil nicht alle EU-Staaten mit den Regelungen zum Einheitspatent einverstanden waren. Derzeit nehmen an dem neuen Einheitspatentsystem 17 EU-Mitgliedsstaaten teil. Weitere acht Staaten wollen zeitnah folgen. Insbesondere Spanien verweigert jedoch eine Beteiligung am neuen System.

Info

Diese 17 EU-Mitgliedsstaaten nehmen am neuen Einheitspatentsystem teil

Derzeit nehmen folgende Staaten am Einheitspatent und Einheitlichen Patentgericht teil:

Österreich, Belgien, Bulgarien, Dänemark, Estland, Finnland, Frankreich, Deutschland, Italien, Lettland, Litauen, Luxemburg, Malta, die Niederlande, Portugal, Slowenien, Schweden.

(Stand: 15.08.2023)

Wahlmöglichkeit: Klassisches Bündelpatent oder neues Einheitspatent

Das Einheitspatent baut auf dem bewährten Patenterteilungsverfahren beim Europäischen Patentamt auf, d. h. das Prozedere bis zu einer Patenterteilung ändert sich mit dem Einheitspatent nicht. Wenn das Europäische Patentamt ein europäisches Patent erteilt, können Patentinhaber nun aber wählen, ob sie den klassischen Weg des Bündelpatents nehmen, d. h. das europäische Patent zerfällt in ein Bündel einzelner nationaler Teile, oder die einheitliche Wirkung beantragen. Letzteres führt dann zum Einheitspatent, das einheitlich in allen am Einheitspatentsystem teilnehmenden EU-Staaten gilt. Staaten, die nicht am Einheitspatentsystem beteiligt sind, insbesondere Nicht-EU-Staaten wie das Vereinigte Königreich oder die Schweiz, können zusätzlich durch die klassischen nationalen Teile des europäischen Patents abgedeckt werden.


Für ein Einheitspatent werden die Verlängerungsgebühren zentral vom Europäischen Patentamt erhoben, deren Höhe ungefähr den Kosten für vier nationale Teile eines herkömmlichen europäischen Bündelpatents entspricht. Dies bietet insbesondere für Unternehmen mit einer breiten europäischen Marktpräsenz die Möglichkeit zur Kostenersparnis. Das Einheitspatent ist zudem zentral für alle teilnehmenden EU-Länder gerichtlich durchsetzbar.

Zusammenfassung

Der Vorteil des neuen Einheitspatents im Vergleich zum bisherigen europäischen Patent

Europäische Patente werden nach einer Prüfung vom Europäischen Patentamt erteilt. Bisher zerfällt jedes erteilte europäische Patent in ein Bündel nationaler Patente, die in jedem Land separat verwaltet werden. Ein europäisches „Bündelpatent“ kann so Patentschutz in bis zu 39 Ländern, u. a. auch in Nicht-EU-Staaten wie Großbritannien und Schweiz, bieten. Dabei sind in jedem Land einzeln Jahresgebühren zu entrichten.

Das europäische Patent mit einheitlicher Wirkung, das neue "Einheitspatent", wird hingegen vom Europäischen Patentamt (EPA) zentral verwaltet, das auch einheitliche Jahresgebühren erhebt. Das Einheitspatent ist durch eine EU-Gesetzgebung entstanden und gilt derzeit in 17 EU-Ländern. Acht weitere EU-Mitgliedsstaaten wollen dem neuen Patentsystem demnächst beitreten. Spanien, Kroatien und Polen lehnen die Patentreform weiterhin ab. Nicht-EU-Staaten, wie die Schweiz oder das Vereinigte Königreich, sind von dem neuen Einheitspatentsystem ausgeschlossen.

Das Einheitspatentgericht: Schnelle Rechtssicherheit bei Patentstreitigkeiten

Neuerungen, wie die einheitliche Patentverwaltung, setzen Institutionen mit dem Ziel der Zentralisierung und Vereinfachung um. Ein wesentlicher Bestandteil des neuen Einheitspatentsystems ist das Einheitliche Patentgericht (EPG), das oft auch mit der englischen Abkürzung „UPC“ („Unified Patent Court“) in Erscheinung tritt. Das neue Gericht soll eine einheitliche Patentrechtsprechung in Europa sicherstellen und ist multinational besetzt. Es befasst sich nicht nur mit Patentstreitigkeiten, die die Verletzung eines erteilten Patents betreffen, sondern kann auch darüber urteilen, ob ein Patent überhaupt zu Recht erteilt wurde. Verfahren vor dem EPG sind effizient gestaltet und sollen in der Regel innerhalb von 12 bis 14 Monaten zu einer Entscheidung führen. Dies verspricht im Vergleich zu herkömmlichen nationalen Patentverfahren eine deutlich schnellere Rechtssicherheit.

Zuständigkeit des EPG auch für alte Patente

Das einheitliche Patentgericht ist jedoch nicht nur für Einheitspatente zuständig, die seit 1. Juni 2023 beantragt werden können. Vielmehr hat der Gesetzgeber entschieden, dass die Validierung von bestehenden europäischen Bündelpatenten automatisch in die Zuständigkeit des EPG fallen. Ist also ein europäisches Bündelpatent in mehreren der 17 am Einheitspatentsystem teilnehmenden Staaten wie z. B. Deutschland, Frankreich und Italien bereits wirksam, dann kann im Klagefall auch die neue Zentralkammer mit Wirkung für all diese Vertragsstaaten darüber urteilen.

Opt-Out-Antrag zur Risikostreuung

Für Patentinhaber, die ihr Patent z. B. mit Blick auf den innergemeinschaftlichen Erwerb grenzüberschreitend durchsetzen wollen, ist das eine gute Nachricht. Zu einer Gefahr für den Patentinhaber kann der gesetzliche Automatismus aber dann werden, wenn ein Dritter das Patent angreift, weil es möglicherweise zu Unrecht erteilt wurde. Dann kann ein Urteil des EPG dazu führen, dass das Patent in allen Staaten, für die das neue Gericht zuständig ist, mit einem Streich vernichtet wird.

Diesem Risiko können Patentinhaber nur durch einen sogenannten "Opt-Out"-Antrag entgehen. Ein solcher Antrag bewirkt, dass dem EPG die Zuständigkeit für das betreffende Patent entzogen wird. Dieser muss von einem beim EPG zugelassenen Vertreter über das rein online geführte Case-Management-System des neuen EU-Gerichts eingereicht werden.

Kosten und strategische Überlegungen

Die Kosten für das EU-Einheitspatent variieren je nach Art und Umfang des Patentschutzes. Die Jahresgebühren, die ein Einheitspatent aufrechterhalten, sind vergleichbar mit den Kosten von vier nationalen Teilen für ein europäisches Bündelpatent. Vereinfacht gilt derzeit folglich, dass man über ein Einheitspatent Schutz in 17 Ländern erhält, jedoch nur Gebühren für vier Länder zahlt. Das ist eine erhebliche Kostensenkung über die Laufzeit eines Patents.

Dennoch bleiben die Kosten für Patentschutz in Europa im internationalen Vergleich hoch, denn auch für ein Einheitspatent summieren sich die Kosten der jährlichen Verlängerungsgebühren über die gesamte Patentlaufzeit von 20 Jahren auf etwa 35.000 Euro. Bei einem US-Patent liegen diese Kosten bei etwa 13.000 Euro.

Zusammenfassung

Checkliste: Das Einheitspatent ist z. B. sinnvoll, wenn

  • Patentschutz dauerhaft in mindestens vier EU-Ländern benötigt wird.
  • Das Patent eine hohe Bedeutung für das Unternehmen hat und damit die höheren Kostenrisiken für ein Verfahren beim EPG rechtfertigt.
  • Es über das Patent noch keine Auseinandersetzung gibt und damit auch kaum ein Risiko, dass ein Dritter das Patent angreifen wird.
     

Fazit: Eine ganzheitliche Innovationsstrategie

Das EU-Einheitspatent und das EPG ergänzen das System des Patentschutzes in Europa um ein schlagkräftiges Werkzeug. Für Unternehmen entstehen dadurch neue Chancen, im Rahmen des Innovationsmanagements ihre Erfindungen und Innovationen zu schützen und zu verteidigen.

Voraussetzung dafür ist es, bisherige Patentstrategien zu hinterfragen, an die geänderten Umstände anzupassen und weiterzuentwickeln. Unternehmen, die die richtigen Werkzeuge für die jeweiligen Innovationen aus ihrem Patentwerkzeugkasten ziehen, können nun mehr denn je ihre Innovationen in Europa effektiver und kosteneffizienter schützen. Entscheidend hierfür ist eine ganzheitliche Betrachtung der Innovations- und Zukunftsstrategie, des Marktumfelds und der Patentaktivitäten der Marktbegleiter des jeweiligen Unternehmens. Auch Aspekte der Nachhaltigkeit, der Stakeholder-Interessen und der Unternehmenskultur spielen hier eine Rolle. Eine ganzheitliche Schutzstrategie berücksichtigt zudem andere gewerbliche Schutzrechte wie Marken, Designs und Gebrauchsmuster.

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