Digitalisierung im Handwerk: Herausforderung und Chance für KMU

Die fortschreitende Digitalisierung betrifft Handwerksbetriebe aller Art und Größe: Digitale Kommunikations-, Ausschreibungs-, Bestell- und Materialbeschaffungssysteme und nicht zuletzt ein verändertes Kunden- und Verbraucherverhalten zwingen jeden Betrieb, digitale Anwendungen einzusetzen. Erfahren Sie hier mehr über die Chancen, welche die Digitalisierung im Handwerk bietet.

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Frau in einer Werkstatt blickt lächelnd auf ihren Schreibtisch
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 |  Zuletzt aktualisiert am:20.03.2023

Handwerk 4.0: Große Herausforderungen, großes Potenzial

Auch wenn einer neueren Studie zufolge mittlerweile mehr als 90 Prozent aller Handwerksbetriebe eine eigene Internetseite haben und so gut wie alle per E-Mail erreichbar sind, bietet die Digitalisierung im Handwerk nach wie vor großes Entwicklungspotenzial. Dies hat auch damit zu tun, dass in der Branche die Zahl kleiner, oft familiengeführter Unternehmen sehr groß ist.

Im Gegensatz zu größeren mittelständischen Unternehmen mit eigenen IT-Fachkräften gibt es dort allerdings meist niemanden, der sich mit dem Thema Digitalisierung im Handwerk freiwillig auseinandersetzt und das Potenzial geeigneter Maßnahmen erforscht. Die Folge ist, dass viele Handwerksfirmen Probleme bei der Bewältigung dieses Prozesses sehen. Wenn Digitalisierungsmaßnahmen aber nur auf äußeren Druck hin halbherzig umgesetzt und als zusätzliche Belastung empfunden werden, kann dies kaum anders sein.

Experten-Interview: Digitalisierung im Handwerk

Portrait von Sebastian Rajca

Für viele Branchen wurde die Coronapandemie zu einem Katalysator für Digitalisierungsprozesse – so auch im Handwerk.

Wir haben mit Sebastian Rajca – Abteilungsleiter für Technologie-, Digitalisierungs- und Innovationspolitik im Baden-Württembergischen Handwerkstag e.V – zum Thema Digitalisierung im Handwerk gesprochen und spannende Einblicke erhalten.

Beispiel für die Digitalisierung im Handwerk: Elektronische Rechnungen

Da öffentliche Auftraggeber seit November 2020 nur noch elektronische Rechnungen akzeptieren, muss in ein Softwaresystem investiert werden, das das Ausstellen solcher ermöglicht. Statt fortan nun allen Kunden E-Rechnungen zu schicken, werden diese nur für öffentliche Auftraggeber eingesetzt. Alle anderen Kunden erhalten die Rechnungen weiterhin postalisch. Die positiven Effekte der Digitalisierungsmaßnahme elektronische Rechnung – geringerer Arbeitsaufwand und Kostensenkung für die Rechnungslegung – verpuffen.

 

Beispiel für die Digitalisierung im Handwerk: Elektronische Stundenzettel

In vielen Handwerksbetrieben werden Programme eingesetzt, die außer der Angebots- und Abrechnungserstellung auch das Führen elektronischer Stundenzettel ermöglichen, welches bequem per Smartphone-App erfolgen kann. Da allerdings nur wenige Mitarbeiter diese Möglichkeit nutzen, wird ein Großteil der Stundenzettel weiterhin von Hand in das System eingepflegt. Das bedeutet nicht weniger, sondern mehr Zeitaufwand.

Mithilfe von Digitalisierung Herausforderungen meistern

Natürlich stehen Handwerksbetriebe vor großen Herausforderungen: Fachkräftemangel, unbesetzte Ausbildungsplätze, steigende Rohstoff- und Materialpreise, wachsende Lohn- und Personalkosten, erhöhte Umweltauflagen, komplexere Fertigungs- und Ausführungsverfahren, fortwährender Konkurrenzdruck und ein zunehmendes Anspruchsdenken der Kunden setzen so gut wie jedem Handwerksunternehmen zu. Und dann auch noch die Digitalisierung! Sinnvoll eingesetzt hilft diese jedoch dabei, all diese Herausforderungen besser zu bewältigen.

Innerhalb des Handwerksbetriebs können so gut wie alle Abläufe digitalisiert und teilweise sogar automatisiert werden. Einige der Bereiche, in denen es Zeit und Kosten spart, das Handwerk zu digitalisieren, sind zum Beispiel:

  • Materialbestellung
  • Auftragsabwicklung
  • Zeiterfassung
  • Gehaltsabrechnungen erstellen
  • Dokument- und Belegverwaltung
  • Rechnungsstellung
  • Kontoüberwachung und Mahnwesen
  • Datenaustausch mit der Steuerberatung
  • Entwurfsplanung und Steuerung von Fertigungsmaschinen
  • Kundenkommunikation

Gleichzeitig bietet die Digitalisierung vielen Handwerksbetrieben zusätzliche neue Möglichkeiten: Produkte und Fertigwaren können ohne großen Aufwand über das Internet vertrieben werden. Die Infrastruktur dafür muss nicht extra geschaffen werden. Sie steht bei Online-Marktplätzen wie eBay, Amazon oder Rakuten bereits zur Verfügung und kann gegen eine Verkaufsprovision, die üblicherweise im Bereich von 7 bis 15 Prozent des Verkaufspreises liegt, einfach genutzt werden.

Erschließung neuer Geschäftsfelder in der Handwerk-Digitalisierung

Langsam, aber mit steigender Tendenz, hält die Digitalisierung Einzug in die Haustechnik. Dies führt dazu, dass sich nicht nur Heizungs-, Lüftungs-, Sanitär- und Elektroinstallationsunternehmen, sondern auch Tischlereien und Zimmereibetriebe wegen neuartiger Schließ- und Alarmsysteme mit dem Thema „Smart Home“ auseinandersetzen müssen. Eine ganze Reihe von Handwerksunternehmen hat daher die Smart-Home-Beratung mit in das Angebotsspektrum aufgenommen und so ein zusätzliches Geschäftsfeld erschlossen.

Manchmal kann die Digitalisierung im Handwerk sogar zur Neugründung eines weiteren Unternehmens führen: So hat z. B ein Gerüstbauunternehmen, das die Vorteile der Gebäudebemaßung mit Hilfe eines Drohnensystems nutzen wollte, wegen der hohen Kosten des Systems ein zusätzliches, sehr erfolgreiches Unternehmen gegründet, das die 3D-Vermessung für Bemaßung und Modulation als Dienstleistung anbietet.

Tipp

Weitere Informationsmöglichkeiten zum Thema Digitalisierung im Handwerk

Internetportale, die sich auf das Thema „Digitalisierung im Handwerk“ spezialisiert haben und auf denen Sie weitere auf Ihre Branche zugeschnittene Inhalte erhalten, sind die Seiten handwerk-digitalisieren.de oder handwerkdigital.de.

Vorteile der Digitalisierung im Handwerk: Optimierung und Integration

Keine Frage, die Digitalisierung von Arbeitsabläufen und Prozessen erfordert InvestitionenEinarbeitung und Disziplin in der durchgängigen Anwendung. Die Vorteile ergeben sich aber nur, wenn Erstere im Handwerksbetrieb auch gelebt wird. Dafür sind umfassende Anleitungen und diverse Fortbildungen für Mitarbeiter notwendig. Sind diese Maßnahmen erfolgreich, bietet die Digitalisierung im Handwerk vielfältige Chancen und neue Möglichkeiten. Durch die Optimierung der Abläufe sparen Sie Zeit und dadurch langfristig Geld. Dadurch wiederum werden Ressourcen freigesetzt, die an anderer Stelle genutzt werden können.

Hinzu kommt, dass viele kleinere Handwerksunternehmen nur durch die Digitalisierung den Anschluss behalten und mit größeren Betrieben konkurrieren können. Dies betrifft vor allem Betriebe, die im Bereich der Baubranche tätig sind. Ausschreibungen erfolgen zunehmend digital und Angebote müssen entsprechend digital abgegeben werden. Handwerksbetriebe ohne entsprechende Infrastruktur bleiben außen vor. Dadurch, dass einschlägige Planungsprogramme allen Handwerksbetrieben als Cloudsysteme gegen einen Monatsbetrag online zur Verfügung stehen, können sich Klein- und Großbetriebe – den notwendigen Sachverstand vorausgesetzt – auf Augenhöhe begegnen.

Das Thema spielt aber auch im Bereich der Kundenkommunikation eine wichtige Rolle: Potenzielle Auftraggeber recherchieren im Internet und sind es gewohnt, schnelle Antworten auf ihre Fragen zu bekommen. Handwerksbetriebe, die dort nichts oder nur wenig zu bieten haben und zögerlich auf Mailanfragen reagieren, kommen als Auftragnehmer kaum in Betracht.

Fachverbände und Förderung von Digitalisierung im Handwerk

Konkrete Hilfestellungen gibt es bei den zuständigen Handwerkskammern. Diese führen persönliche Beratungsgespräche durch und vermitteln Berater, die die Digitalisierungsmaßnahmen planen und begleiten. Ein Großteil der Beratungskosten wird vom Förderprogramm „go-digital“ des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) übernommen.

Fördergelder für Investitionen in Hard- und Software laufen über das Förderprogramm „Digital jetzt“, das ebenfalls vom BMWi angeboten wird. Neue Unternehmungsgründungen, die in Zusammenhang mit den Digitalisierungsmaßnahmen stehen, können zusätzlich mit Existenzgründungsdarlehen und Zuschüssen aus unterschiedlichen Fördertöpfen unterstützt werden. Konkrete Auskünfte erteilt die örtliche Wirtschaftsförderung.

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