Digitalisierung im Handwerk: Herausforderung und Chance für KMU

Die fortschreitende Digitalisierung betrifft Handwerksbetriebe aller Art und Größe: Digitale Kommunikations-, Ausschreibungs-, Bestell- und Materialbeschaffungssysteme und nicht zuletzt ein verändertes Kunden- und Verbraucherverhalten zwingen jeden Betrieb, eine digitale Transformation vorzunehmen. KI-Systeme geben der Digitalisierung einen zusätzlichen Schub und eröffnen auch dem Handwerk neue Möglichkeiten. Erfahren Sie hier im Überblick mehr über die Chancen, welche die Digitalisierung im Handwerk bietet.

Hinweis: Gendergerechte Sprache ist uns wichtig. Daher verwenden wir auf diesem Portal, wann immer möglich, genderneutrale Bezeichnungen. Daneben weichen wir auf das generische Maskulinum aus. Hiermit sind ausdrücklich alle Geschlechter (m/w/d) mitgemeint. Diese Vorgehensweise hat lediglich redaktionelle Gründe und beinhaltet keinerlei Wertung.

Frau in einer Werkstatt blickt lächelnd auf ihren Schreibtisch
© Jelena - stock.adobe.com
 |  Zuletzt aktualisiert am:12.04.2024

Handwerk 4.0: Große Herausforderungen, großes Potenzial

Auch wenn einer neueren Studie zufolge mittlerweile mehr als 90 Prozent aller Handwerksbetriebe eine eigene Internetseite haben und so gut wie alle per E-Mail erreichbar sind, bietet die Digitalisierung im Handwerk nach wie vor großes Entwicklungspotenzial. Dies hat auch damit zu tun, dass in der Branche die Zahl kleiner, oft familiengeführter Unternehmen sehr groß ist.

Im Gegensatz zu größeren mittelständischen Unternehmen mit eigenen IT-Fachkräften gibt es dort allerdings meist niemanden, der sich mit dem Thema Digitalisierung im Handwerk freiwillig auseinandersetzt und das Potenzial geeigneter Maßnahmen erforscht. Die Folge ist, dass viele Handwerksfirmen Probleme und Risiken bei der Bewältigung dieses Prozesses sehen. Wenn Digitalisierungsmaßnahmen in der Praxis aber nur auf äußeren Druck hin halbherzig umgesetzt und als zusätzliche Belastung empfunden werden, kann dies kaum anders sein.

Experten-Interview: Digitalisierung im Handwerk

Portrait von Sebastian Rajca

Für viele Branchen wurde die Coronapandemie zu einem Katalysator für Digitalisierungsprozesse – so auch im Handwerk.

Wir haben mit Sebastian Rajca – Abteilungsleiter für Technologie-, Digitalisierungs- und Innovationspolitik im Baden-Württembergischen Handwerkstag e.V – zum Thema Digitalisierung im Handwerk gesprochen und spannende Einblicke erhalten.

Beispiel für die Digitalisierung im Handwerk: Elektronische Rechnungen

Da öffentliche Auftraggeber seit November 2020 nur noch elektronische Rechnungen akzeptieren, muss in eine Software investiert werden, die das Ausstellen solcher ermöglicht. Statt fortan nun allen Kunden E-Rechnungen zu schicken, werden diese nur für öffentliche Auftraggeber eingesetzt. Alle anderen Kunden erhalten die Rechnungen weiterhin postalisch. Die positiven Effekte der Digitalisierungsmaßnahme elektronische Rechnung – geringerer Arbeitsaufwand, Kostensenkung und damit eine erhöhte Effizienz bei der Rechnungslegung – verpuffen.

Beispiel für die Digitalisierung im Handwerk: Elektronische Stundenzettel

In vielen Handwerksbetrieben werden Programme eingesetzt, die außer der Angebots- und Abrechnungserstellung auch das Führen elektronischer Stundenzettel ermöglichen, welches bequem per Smartphone-App erfolgen kann. Da allerdings nur wenige Mitarbeiter diese Möglichkeit nutzen, wird ein Großteil der Stundenzettel weiterhin von Hand in das System eingepflegt. Das bedeutet nicht weniger, sondern mehr Zeitaufwand.

Mithilfe von Digitalisierung Herausforderungen meistern

Natürlich stehen Handwerksbetriebe aktuell und auch in Zukunft vor großen Herausforderungen: Fachkräftemangel, unbesetzte Plätze für Auszubildende, steigende Rohstoff- und Materialpreise, wachsende Lohn- und Personalkosten, erhöhte Umweltauflagen, Umstellungen auf komplexere Fertigungs- und Ausführungsverfahren, fortwährender Konkurrenzdruck und ein zunehmendes Anspruchsdenken der Kunden setzen so gut wie jedem Handwerksunternehmen zu. Und dann auch noch die Digitalisierung! Sinnvoll eingesetzt hilft diese jedoch dabei, all diese Herausforderungen besser zu bewältigen.

Innerhalb des Handwerksbetriebs können so gut wie alle Abläufe und Geschäftsprozesse digitalisiert und teilweise sogar automatisiert werden. Einige der Bereiche, in denen die Digitalisierung des Handwerks Zeit und Kosten spart, sind zum Beispiel:

  • Materialbestellung
  • Abwicklung der Aufträge
  • Zeiterfassung
  • Gehaltsabrechnungen erstellen
  • Dokument- und Belegverwaltung
  • Rechnungsstellung
  • Kontoüberwachung und Mahnwesen
  • Datenaustausch mit der Steuerberatung
  • Entwurfsplanung und Steuerung von Fertigungsmaschinen
  • Kundenkommunikation

Gleichzeitig bietet die Digitalisierung vielen Handwerksbetrieben zusätzliche neue Möglichkeiten: Produkte und Fertigwaren können ohne großen Aufwand über das Internet vertrieben werden. Die Infrastruktur dafür muss nicht extra geschaffen werden. Sie steht bei Online-Marktplätzen wie eBay, Amazon oder Rakuten bereits zur Verfügung und kann gegen eine Verkaufsprovision, die üblicherweise im Bereich von 7 bis 15 Prozent des Verkaufspreises liegt, einfach genutzt werden.

Erschließung neuer Geschäftsfelder in der Handwerk-Digitalisierung

Langsam, aber mit steigender Tendenz, hält die Digitalisierung Einzug in die Haustechnik. Dies führt dazu, dass sich nicht nur Heizungs-, Lüftungs-, Sanitär- und Elektroinstallationsunternehmen, sondern auch Tischlereien und Zimmereibetriebe wegen neuartiger Schließ- und Alarmsysteme mit dem digitalen Wandel und dem Thema „Smart Home“ auseinandersetzen müssen. Eine ganze Reihe von Handwerksunternehmen hat daher die Smart-Home-Beratung mit in das Angebotsspektrum aufgenommen und so ein zusätzliches Geschäftsfeld erschlossen.

Bäckereien und Konditoreien leiden besonders unter Fachkräftemangel und hohen Rohstoff- und Betriebskosten. Hier kann die Digitalisierung im Handwerk nicht nur helfen, Projekte zu planen, Schicht- und Dienstpläne zu optimieren, Einkaufs-, Lager- und Betriebskosten zu senken und Herstellungsprozesse effizienter zu machen. Mithilfe neuartiger 3D-Druckverfahren lassen sich Torten und Schokoladenprodukte kundenspezifisch individualisieren. Über das Internet können Kunden sogar direkt in die Gestaltung eingebunden werden. Einige Konditoreien haben sich damit sehr erfolgreich völlig neue Verkaufskanäle, Absatzregionen und Zielgruppen erschlossen.

Manchmal kann die Digitalisierung im Handwerk sogar zur Neugründung eines weiteren Unternehmens führen: So hat z. B. ein Gerüstbauunternehmen, das die Vorteile der Gebäudebemaßung mithilfe eines Drohnensystems nutzen wollte, wegen der hohen Kosten des Systems ein zusätzliches, sehr erfolgreiches Unternehmen gegründet, das die 3D-Vermessung für Bemaßung und Modulation als Dienstleistung anbietet.

Tipp

Weitere Informationsmöglichkeiten zum Thema Digitalisierung im Handwerk

Internetportale, die sich auf das Thema „Digitalisierung im Handwerk“ spezialisiert haben und auf denen Sie weitere auf Ihre Branche zugeschnittene Inhalte erhalten, sind die Plattformen handwerk-digitalisieren.de oder handwerkdigital.de. Dort finden Sie auch Erfolgsgeschichten, bei denen die Wege zu den digitalen Geschäftsmodellen in allen Details dargestellt werden.

Vorteile der Digitalisierung im Handwerk: Optimierung und Integration

Keine Frage, die Digitalisierung von Arbeitsprozessen und Abläufen im Handwerk erfordert Investitionen, Einarbeitung und Disziplin in der durchgängigen Anwendung. Die Vorteile ergeben sich aber nur, wenn erstere im Handwerksbetrieb auch gelebt wird. Dafür sind umfassende Anleitungen und diverse Fortbildungen für Mitarbeiter notwendig. Sind diese Maßnahmen erfolgreich, bietet die Digitalisierung im Handwerk vielfältige Chancen und neue Möglichkeiten. Durch die Optimierung der Abläufe sparen Sie Zeit und dadurch langfristig Geld. Dadurch wiederum werden Ressourcen freigesetzt, die an anderer Stelle genutzt werden können.

Hinzu kommt, dass viele kleinere Betriebe aus dem Handwerk nur durch die Digitalisierung den Anschluss behalten und mit größeren Betrieben konkurrieren können. Dies betrifft vor allem Betriebe, die im Bereich der Baubranche tätig sind. Ausschreibungen erfolgen zunehmend digital und Angebote müssen entsprechend digital abgegeben werden. Handwerksbetriebe ohne entsprechende Infrastruktur bleiben außen vor. Dadurch, dass einschlägige Planungsprogramme allen Handwerksbetrieben als Cloudsysteme gegen einen Monatsbetrag online zur Verfügung stehen, können sich Klein- und Großbetriebe – den notwendigen Sachverstand vorausgesetzt – auf Augenhöhe begegnen.

Das Thema Digitalisierung des Handwerks spielt aber auch im Bereich der Kundenkommunikation eine wichtige Rolle: Potenzielle Auftraggeber recherchieren im Internet und sind es gewohnt, schnelle Antworten auf ihre Fragen zu bekommen. Handwerksbetriebe, die dort nichts oder nur wenig zu bieten haben und zögerlich auf Mailanfragen reagieren, kommen als Auftragnehmer kaum in Betracht.

Künstliche Intelligenz auch im Handwerk

Die rasante Entwicklung von KI-Systemen eröffnet auch bei der Digitalisierung des Handwerks zusätzliche neue Möglichkeiten.

Im Bereich der Planung und Konstruktion hat die KI-Technologie im Handwerk bereits enormen Einfluss. Durch fortschrittliche Algorithmen und maschinelles Lernen können Handwerker und Ingenieure komplexe Entwürfe deutlich schneller und effizienter erstellen und optimieren. KI-gestützte Designsoftware analysiert Daten, identifiziert Muster und generiert automatisch Lösungen, die den Anforderungen entsprechen und gleichzeitig Zeit und Ressourcen sparen.

Darüber hinaus revolutioniert die Digitalisierung mit KI bereits die Fertigungsprozesse im Handwerk. Von der CNC-Bearbeitung bis zur 3D-Drucktechnologie ermöglicht KI eine präzisere und effizientere Produktion von Bauteilen und Werkstücken. Intelligente Roboterarme, die mit KI-Algorithmen ausgestattet sind, können komplexe Aufgaben ausführen, die bisher menschliche Fähigkeiten erforderten. Dies führt nicht nur zu einer Steigerung der Produktionsgeschwindigkeit, sondern auch zu einer Reduzierung von Ausschuss und Fehlern.

Tipp

„KI in Unternehmen – Strategien, Trends und Herausforderungen“

Die aktuelle Studie „KI in Unternehmen – Strategien, Trends und Herausforderungen“ gibt Einblicke in den Umgang von Betrieben mit KI. Grundlage ist eine Umfrage, an der 150 Betriebe teilgenommen haben. Die Studie beschreibt den Nutzen, konkrete Aktivitäten und die Herausforderungen, die mit dem Einsatz von KI-Systemen verbunden sind. Erstellt wurde die Studie von der Handwerkskammer Koblenz, der IHK Koblenz, der Hochschule Koblenz und dem Mittelstand-Digital Zentrum Handwerk.

Ein weiteres Beispiel ist die Verwendung von KI in der Fertigung von maßgeschneiderten Möbeln. Durch die Analyse von Kundenpräferenzen und Raumdaten hilft KI dabei, individuelle Designs zu erstellen und den gesamten Fertigungsprozess zu optimieren. Dies kann nicht nur zur Steigerung der Produktivität, sondern auch zu einer höheren Kundenzufriedenheit führen.

Auch im Bereich der Wartung und Reparatur leistet KI bei der Digitalisierung im Handwerk einen bedeutenden Beitrag. Durch die Integration von Sensorik und IoT (Internet der Dinge) können Maschinen und Anlagen kontinuierlich überwacht und analysiert werden. KI-Systeme erkennen frühzeitig Anomalien und prognostizieren potenzielle Ausfälle, sodass Maschinen rechtzeitig gewartet oder repariert und die Betriebszeiten maximiert werden.

Neben diesen technischen Anwendungen unterstützt KI auch Handwerksbetriebe bei der Kundenkommunikation und der Kundenverwaltung. Chatbots können z. B. Kundenanfragen bearbeiten und häufig gestellte Fragen beantworten, was die Kommunikation mit den Kunden effizienter gestaltet und gleichzeitig die Arbeitsbelastung der Mitarbeiter verringert.

Fachverbände und Förderung von Digitalisierung im Handwerk

Konkrete Hilfestellungen gibt es bei den zuständigen Handwerkskammern. Diese führen persönliche Beratungsgespräche durch und vermitteln Berater, die die Digitalisierungsmaßnahmen planen und begleiten. Ein Großteil der Beratungskosten wird vom Förderprogramm „go-digital“ des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) übernommen.

Neue Unternehmensgsgründungen im Handwerk, die in Zusammenhang mit der Digitalisierung stehen, können zusätzlich mit Existenzgründungsdarlehen und Zuschüssen aus unterschiedlichen Fördertöpfen unterstützt werden. Konkrete Auskünfte erteilen die örtliche Wirtschaftsförderung und die zuständige Handwerkskammer.

Lexware Newsletter

Möchten Sie zukünftig wichtige News zu Gesetzes­änderungen, hilfreiche Praxis-Tipps und kostenlose Tools für Unternehmen erhalten? Dann abonnieren Sie unseren Newsletter.