Umsatzsteuerliche Ist-Versteuerung: Das sind die Steuerspielregeln

Gewerblich tätige Unternehmer können beim Finanzamt einen Antrag auf die umsatzsteuerliche Ist-Versteuerung stellen. Der steuerliche Clou: Bei dieser Art der Besteuerung muss die Umsatzsteuer auf ausgeführte Leistungen erst dann ans Finanzamt überwiesen werden, wenn der Kunde die Rechnung bezahlt hat. Erfahren Sie hier, welche Aspekte zu beachten sind, welchen steuerlichen Spielregeln Sie folgen müssen und was sich 2024 geändert hat.

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Eine Frau sitzt an einem Schreibtisch. Mit der einen Hand bedient sie einen Laptop und in der anderen Hand hält sie ein Papier fest.
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 |  Zuletzt aktualisiert am:23.04.2024

Tipp

Was sind vereinnahmte Entgelte?

Wird im Umsatzsteuerrecht von der Versteuerung nach „vereinnahmten Entgelten“ gesprochen, ist damit die Ist-Versteuerung gemeint

Soll-Versteuerung und Ist-Versteuerung im Vergleich

Im Umsatzsteuerrecht gilt der Grundsatz der Soll-Versteuerung nach § 16 Abs. 1 Satz 1 UStG. Die Umsatzsteuer entsteht bei der Soll-Besteuerung mit Ablauf des Voranmeldungszeitraums, in dem die Leistung ausgeführt wurde. Mit anderen Worten: Die Soll-Versteuerung muss also schon ab dem Zeitpunkt ans Finanzamt gezahlt werden, ab dem eine Leistung ausgeführt wurde egal, wann der Kunde die entsprechende Rechnung begleicht. 

Beispiel: Wirkungsweise der Soll-Versteuerung

Eine Unternehmerin erbringt im Januar eine Leistung an einen Kunden. Die Rechnung wird im Februar gestellt (10.000 Euro + 1.900 Euro Umsatzsteuer). Der Kunde zahlt nach einigen Reklamationen die Rechnung erst im Mai. 

Folge: Die Unternehmerin muss die 1.900 Euro Umsatzsteuer bei der Soll-Versteuerung bereits in der Umsatzsteuervoranmeldung im Januar anmelden und an das Finanzamt abführen. Sie muss bis zur Zahlung des Kunden also in Vorleistung treten.

Bei der Ist-Versteuerung nach § 20 UStG entsteht die Umsatzsteuer dagegen mit Ablauf des Voranmeldungszeitraums, in dem die Entgelte vereinnahmt wurden.  

Beispiel Nr. 2: Vergünstigungen bei Ist-Versteuerung

Ein Unternehmer hat für das Jahr die umsatzsteuerliche Ist-Versteuerung beim Finanzamt beantragt. Er erbringt im Januar eine Leistung an einen Kunden (10.000 Euro + 1.900 Euro Umsatzsteuer). Die Rechnung stellt er im Februar. Der Kunde zahlt die Rechnung erst im Mai. 

Folge: Bei der Ist-Versteuerung muss der Unternehmer die Steuer erst in der Umsatzsteuervoranmeldung im Mai angemeldet und ans Finanzamt überwiesen haben

Die umsatzsteuerliche Ist-Versteuerung hat keine Auswirkung auf den Vorsteuerabzug

Wird die Ist-Versteuerung im Steuerjahr 2024 angewandt, hat das keinerlei Auswirkung auf den Zeitpunkt der Vorsteuererstattung. Der Vorsteuerabzug kann unabhängig davon, ob die Soll-Versteuerung oder die Ist-Versteuerung greift, beantragt werden. 

Voraussetzung für den Vorsteuerabzug ist das Vorliegen einer ordnungsgemäßen Eingangsrechnung von einem anderen Unternehmen mit allen notwendigen Rechnungsangaben. Welche Pflichtangaben bei einer Rechnung zwingend gemacht werden müssen, erfahren Sie in unserem Fachartikel “Rechnungen: Was Sie als Unternehmer beachten müssen”.

Wer kann die Ist-Versteuerung anwenden?

Das Finanzamt kann die umsatzsteuerliche Ist-Versteuerung auf Antrag eines Unternehmers derzeit erlauben, wenn:  

  • dessen Gesamtumsatz nach § 19 Abs. 3 UStG im vorangegangenen Jahr nicht mehr als 800.000 Euro betragen hat.
  • ein Unternehmer von der Buchführungspflicht und von der Pflicht, aufgrund jährlicher Bestandsaufnahmen regelmäßig Abschlüsse zu machen, nach § 148 Abgabenordnung befreit ist.
  • er Umsätze aus der Tätigkeit als Angehöriger eines freien Berufs nach § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG erzielt.  

Bis 2024 konnten Unternehmer diese Ist-Besteuerung nur in Anspruch nehmen, wenn ihr Vorjahresumsatz 600.000 Euro nicht überstieg. Durch das Wachstumschancengesetz wurde diese Umsatzgrenze Ende März 2024 auf 800.000 Euro angehoben. Damit können nun deutlich mehr Unternehmen von der Ist-Besteuerung profitieren.

Sonderregelungen zur Ist-Versteuerung bei fehlendem oder unterjährigen Vorjahresumsatz

In der Praxis kann es natürlich vorkommen, dass ein Unternehmer keinen Vorjahresumsatz hat, weil er erst im laufenden Jahr seine unternehmerische Tätigkeit aufnimmt. In diesem Fall ist auf den „voraussichtlichen“ Gesamtumsatz des laufenden Kalenderjahres abzustellen und in einen Jahresumsatz umzurechnen.

Eine Besonderheit gibt es zudem zur umsatzsteuerlichen Ist-Versteuerung zu beachten, wenn der Unternehmer seine Tätigkeit erst im Laufe des Vorjahres aufgenommen hat und nicht volle 12 Monate in diesem Jahr unternehmerisch tätig war.

Folgende Beispiele veranschaulichen diese beiden Sonderfälle:

Beispiel Nr. 1: Ermittlung des voraussichtlichen Gesamtumsatzes bei der Ist-Versteuerung im laufenden Jahr

Ein Unternehmer nimmt seine unternehmerische Tätigkeit im Mai auf und erwartet für das laufende Jahr einen Umsatz von 300.000 Euro. Bei der Frage, ob die Ist-Besteuerung angewandt werden darf, ist von einem Gesamtumsatz im laufenden Jahr in Höhe von 450.000 Euro auszugehen (300.000 Euro : 8 Monate (Mai bis Dezember) x 12 Monate). 

Folge: Da die Umsatzhöchstgrenze von 800.000 Euro nicht überschritten ist, profitiert der Unternehmer im laufenden Jahr von den Vorteilen der Ist-Versteuerung

Beispiel Nr. 2: Ermittlung des Gesamtumsatzes bei unterjährigem Vorjahresumsatz

Eine Unternehmerin ist seit dem Juni des Vorjahres unternehmerisch tätig und hat von Juni bis Dezember des Vorjahres einen Umsatz von 650.000 Euro erzielt. Rechnet man den Umsatz auf 12 Monate hoch, wurde im Sinn der Ist-Versteuerung im Vorjahr ein Umsatz von 1.114.285 Euro erzielt (650.000 Euro : 7 Monate (Juni bis Dezember) x 12 Monate). 

Folge: Ein Antrag auf umsatzsteuerliche Ist-Versteuerung für das laufende Jahr würde also in Leere laufen, weil der hochgerechnete Umsatz des Vorjahres über 800.000 Euro lag.

Ist-Versteuerung: Muss immer ein formeller Antrag gestellt werden?

Laut Gesetz (hier § 20 UStG) muss ein Unternehmer zwingend einen Antrag stellen, um die Umsatzsteuer statt nach vereinbarten Entgelten (Soll-Versteuerung) nach vereinnahmten Entgelten (Ist-Versteuerung) anmelden zu können. Für den Antrag gibt es keine bestimmte Formvorgabe. Er kann schriftlich oder telefonisch gestellt werden.

Doch kein Grundsatz ohne Ausnahme: Der Antrag kann auch durch das schlüssige Verhalten des Unternehmers gestellt werden. Das bedeutet im Klartext: Ist der Umsatzsteuererklärung oder der Einnahmen-Überschussrechnung klar zu entnehmen, dass ein Unternehmer umsatzsteuerlich die Ist-Versteuerung angewandt hat, kann das als Antrag gedeutet werden (siehe u.a. BFH, Urteil v. 18.8.2015, Az. V R 47/15). 

Tipp

Der Antrag ist an keine Frist gebunden

Der Antrag auf die umsatzsteuerliche Ist-Versteuerung ist an keine Frist gebunden. Er kann demnach sogar rückwirkend auf den Beginn des laufenden Kalenderjahrs und sogar für bereits abgelaufene Steuerjahre gestellt werden. 

Quiz zur umsatzsteuerlichen Ist-Versteuerung

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