Urteil zur Zeiterfassung: Das bedeutet es für Unternehmen

Das Bundesarbeitsgericht hat ein Urteil veröffentlicht, das für Arbeitgeber weitreichende Folgen hat: Demnach besteht bereits jetzt für Unternehmen die Pflicht, die Arbeitszeit ihrer Beschäftigten zu erfassen. Die Bundesregierung hat reagiert und ein entsprechendes Gesetzesvorhaben auf den Weg gebracht. Erfahren Sie in diesem Beitrag, was das Urteil zur Zeiterfassung für Unternehmen bedeutet und welche Maßnahmen diese nun ergreifen müssen.

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Wanduhr mit Karten, auf denen Arbeitszeiten notiert sind.
© Creativstudio
 |  Zuletzt aktualisiert am:04.04.2024

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat am 13. September 2022 entschieden, dass Arbeitgeber verpflichtet sind, ein System einzuführen, mit dem die von den Arbeitnehmern geleistete Arbeitszeit erfasst werden kann. Das Urteil wurde von vielen Arbeitsrechtsexperten als „Paukenschlag“ eingestuft. Warum ist das Urteil so besonders und wie kam es dazu?

Rechtsprechung kommt dem Gesetzgeber bei der Zeiterfassung zuvor

In dem Urteilsfall zur Zeiterfassung ging es darum, ob der Betriebsrat die Einführung eines Systems zur (elektronischen) Arbeitszeiterfassung im Betrieb mithilfe der Einigungsstelle erzwingen kann. Das Bundesarbeitsgericht stellte jedoch klar, dass dem Betriebsrat nur ein Mitbestimmungsrecht zustünde, wenn es zur Zeiterfassung noch keine gesetzliche Regelung gäbe. Aber: Laut Auffassung des BAG gab es diese bereits.

Das Gericht verwies in diesem Zusammenhang auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH). In dem sogenannten Stechuhr-Urteil hat der EuGH bereits im Mai 2019 entschieden, dass die Mitgliedstaaten Arbeitgeber dazu verpflichten müssen, ein System einzurichten, mit dem die tägliche Arbeitszeit der Mitarbeiter gemessen werden kann. Damit soll sichergestellt werden, dass die zulässigen Arbeitszeiten nicht überschritten werden. Aus einer unionsrechtlichen Auslegung des deutschen Arbeitsschutzgesetzes ergibt sich deshalb nach Ansicht des Bundesarbeitsgerichts die Pflicht für Unternehmen zur Arbeitszeiterfassung.

Das Urteil des EuGH wurde bisher vom deutschen Gesetzgeber nicht in nationales Recht umgesetzt. Das Bundesarbeitsgericht ist mit seinem Urteil nun der Bundesregierung zuvorgekommen. Was ändert sich durch diese Rechtsprechung für Arbeitgeber?

Achtung

Das BAG begründet am 3. Dezember sein Zeiterfassungsurteil

Nach fast dreimonatiger Schweigepause hat das BAG die lang erwarteten Gründe seiner Entscheidung vom 13. September 2022 (1 ABR 22/21) zur Arbeitszeiterfassung veröffentlicht. Die Begründung konkretisiert manche Punkte, die im Urteil noch nicht klar waren:

  • Die Pflicht zur Erfassung der Arbeitszeiten gilt definitiv ab sofort bzw. seit dem 13. September 2022.
  • Arbeitgeber müssen das Erfassungssystem nicht nur bereitstellen, sondern auch dafür sorgen, dass die Zeiten eingetragen werden. Wer aber die Zeiterfassung konkret vornimmt (Arbeitgeber oder Arbeitnehmer), bleibt den Betrieben überlassen.
  • Ebenso im Ermessen der Betriebe liegt die Form der Arbeitszeiterfassung. Das BAG gibt keine Vorgabe, ob Arbeitszeiten analog oder digital erfasst werden müssen.
  • Betriebsräte haben kein Initiativrecht, aber ein Mitbestimmungsrecht. Geschäftsführungen müssen den Betriebsrat – sofern vorhanden - also nur bei der Ausgestaltung des Zeiterfassungssystems miteinbeziehen. Der Betriebsrat darf aber kein Zeiterfassungssystem „diktieren“.

Wer mehr zu den Hintergründen des Urteils erfahren möchte, findet hier die Begründung des BAG vom 3. Dezember 2022.

Was bedeutet das Urteil zur Zeiterfassung für Unternehmen?

In Deutschland gesetzlich verpflichtend war eine Zeiterfassung bisher lediglich für Überstunden oder Sonn- und Feiertagsarbeit. Außerdem mussten Minijobber sowie bestimmte Berufsgruppen und Branchen ihre Arbeitszeiten bereits erfassen. Doch aus der aktuellen Rechtsprechung folgt, dass die Arbeitszeit aller Arbeitnehmer täglich erfasst werden muss – und zwar bereits jetzt.

Arbeitgeber, die bereits über ein System zur täglichen Arbeitszeiterfassung verfügen, haben derzeit keinen akuten Handlungsbedarf. Für sie könnten sich allerdings dann Änderungen ergeben, wenn der Gesetzgeber konkrete Vorschriften macht, wie die Arbeitszeit zu erfassen ist.

Aktiv werden müssen jetzt aber vor allem Arbeitgeber, die noch keine Arbeitszeiterfassung in ihrem Betrieb eingeführt haben oder die auf die sogenannte Vertrauensarbeitszeit setzen. Der Arbeitgeber prüft in diesem Fall keine Anwesenheitszeiten. Der Arbeitnehmer erledigt seine Aufgaben, ohne dass der Arbeitgeber die konkrete Arbeitszeit kontrolliert.

Achtung

Pflicht zur elektronischen Aufzeichnung: Referentenentwurf liegt vor

Arbeitgeber sollen künftig dazu verpflichtet werden, Beginn, Ende und Dauer der Arbeitszeit aufzuzeichnen – elektronisch und am jeweiligen Tag. Das sieht der Gesetzesentwurf des Bundesarbeitsministeriums für die Arbeitszeiterfassung vor. Die Aufzeichnung könnten demnach ebenso die Beschäftigen selbst oder z.B. Vorgesetzte übernehmen.

Für Betriebe mit weniger als zehn Mitarbeitenden soll es eine Ausnahme geben: Laut Gesetzesentwurf soll die elektronische Erfassung für sie nicht verpflichtend sein, weshalb sie die Arbeitszeiten auch händisch in Papierform notieren dürfen. Diese Ausnahme können zudem die Tarifpartner für größere Unternehmen vereinbaren. Vertrauensarbeit soll weiterhin möglich sein. Diese Regelungen sind aber noch nicht in Kraft: Der Entwurf des Bundesarbeitsministeriums befindet sich noch immer im Gesetzgebungsverfahren. Im nächsten Schritt folgt die Ressortabstimmung. Bis wann eine Verabschiedung erfolgen wird – oder ob die Pläne noch verändert werden –, ist bisher nicht abzusehen.

Wir halten Sie auf dem Laufenden, wie es mit der Gesetzesreform weitergeht – hier in unserem Wissen- & Tipps-Portal und in unserem Newsletter.

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Gehört die Vertrauensarbeitszeit nun der Vergangenheit an?

Auch wenn die Verpflichtung der Arbeitgeber zur Zeiterfassung bereits jetzt gilt: Das „Wie?“ ist noch offen. Der EuGH gab in seiner Rechtsprechung vor, dass das System zur Arbeitszeiterfassung „objektiv, verlässlich und zugänglich“ sein muss. Das eröffnet für die Bundesregierung Gestaltungsspielräume bei einer etwaigen gesetzlichen Umsetzung.

Einige Arbeitsrechtsexperten befürchteten zunächst, dass Vertrauensarbeitszeitregelungen schwieriger oder überhaupt nicht mehr umsetzbar sein werden. Andere wiederum äußern die Hoffnung, dass es Lösungen geben wird, sowohl den Dokumentationspflichten nachzukommen als auch flexible Arbeitszeitmodelle zu erhalten. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil signalisierte, dass die Vertrauensarbeitszeit weiterhin möglich sein soll.

Die Regierung hatte vor dem Hintergrund des EuGH-Urteils im Koalitionsvertrag bereits angekündigt: „Im Dialog mit den Sozialpartnern prüfen wir, welchen Anpassungsbedarf wir angesichts der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zum Arbeitszeitrecht sehen. Dabei müssen flexible Arbeitszeitmodelle (z. B. Vertrauensarbeitszeit) weiterhin möglich sein.“ Man darf gespannt sein, wie dies schlussendlich gesetzlich umgesetzt wird.

Info

Auswirkungen des Urteils auf Homeoffice-Regelungen

Nach dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts wurden bereits Stimmen laut, dass dies das Ende von Homeoffice-Regelungen sein könnte. Doch die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung sollte nicht mit einer Anwesenheitspflicht der Arbeitnehmer im Büro verwechselt werden. Die Arbeitszeit lässt sich auch erfassen, wenn ein Arbeitnehmer im Homeoffice ist.

Wie schnell müssen Arbeitgeber auf das Urteil zur Zeiterfassung reagieren?

Die Grundsätze aus dem Urteil gelten sofort. Unternehmen, die bisher kein umfassendes System zur Arbeitszeiterfassung etabliert haben, können die weiteren Entwicklungen also nicht einfach aussitzen und abwarten. Viele wichtige Fragen beantwortet das Bundesministerium für Arbeit und Soziales in einem FAQ. Das Gesetzesvorhaben ist jedoch noch nicht abgeschlossen. Deshalb bleibt abzuwarten, was im Einzelnen konkret geregelt wird.

Kommt die Stechuhr wieder?

Beim Thema Arbeitszeiterfassung denken viele unwillkürlich an die traditionelle Stechuhr oder auch Stundenzettel. Doch das muss nicht mehr zwingend so sein: Dank moderner Softwarelösungen gibt es heute zahlreiche Formen, die Arbeitszeit zu dokumentieren. Bisher gibt es auch keine gesetzliche Pflicht, dass die Dokumentation zwingend elektronisch erfolgen muss. Möglich wären demnach auch händische Aufzeichnungen. Denkbar wären aktuell:

  • Ausgedruckte Formulare
  • Excel-Tabellen
  • Zeiterfassungs-Apps
  • Softwarelösungen

Aber wichtig: Auch wenn momentan noch keine gesetzliche Neuregelung verabschiedet wurde die aktuellen Pläne sehen vor, dass eine elektronische Aufzeichnung erfolgen soll. Hierauf sollten sich Unternehmen entsprechend vorbereiten.

Werden Unternehmen bestraft, die noch kein umfassendes Zeiterfassungssystem eingeführt haben?

In Deutschland gibt es bisher keine gesetzliche Neuregelung zur Arbeitszeiterfassung infolge der Rechtsprechung. Die BAG-Rechtsprechung hat verbindlich festgelegt, dass in Deutschland die Arbeitszeit aufgezeichnet werden muss. 

Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales weist darauf hin, dass Arbeitgeber dafür verantwortlich sind, geltende Gesetze einzuhalten und den Betrieb entsprechend zu organisieren. Vor allem in Zukunft kann dies auch sanktioniert werden: Bei Verstößen können Nachbesserungen verlangt oder ggf. sogar Bußgelder verhängt werden. Unternehmen sollten deshalb die neue Rechtsprechung umsetzen und sich auf die mögliche gesetzliche Neureglung einstellen.

Achtung

Mit der Regelung kommen auch die Strafen

Es ist damit zu rechnen, dass der Gesetzgeber nachsteuern wird und mit einer Regelung zur Arbeitszeiterfassung auch mögliche Strafen und Bußgelder bei einem Verstoß gegen die Verpflichtungen festlegen wird. Unternehmen müssen sich deshalb bereits jetzt mit der Thematik befassen.

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